Dienstag, 9. August 2011

Gott ist simplex

Hasos Tafel

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Simplexität  

Alan Hirsch berichtet, wie sein Leben durch ein Zitat verändert wurde, das er bei M. Scott Peck fand:
I wouldn’t give you a dime for simplicity this side of complexity. but I would give you all that I own for simplicity the other side of complexity.
Für diese Einfachheit jenseits der Komplexität verwendet Alan den Begriff Simplexität (simplexity). Im Gegensatz zur Simplizität, jener Einfachheit, die die komplexe Realität des Lebens einfach nicht zur Kenntnis nimmt und mit banalen Antworten jede differenzierte Wahrnehmung erschlägt, beschreibt Alan die Simplexität wie folgt:
As for the other side of the equation … I would give all that I own for simplicity the other side of complexity I believe this refers to those truths that have somehow honored the complex situation in which we exist and have yet to offer a simple solution/insight that seems to just somehow unlock the meaning of things. Often these ’simplex truths’ recognize paradox and mystery as part of the equation. I think these are the deepest truths of our lives.
Viele Menschen beginnen ihren geistlichen Weg in Simplizität. Wenn dann die Komplexität des Lebens sich meldet, wollen einige sie nicht wahrhaben. Fundmentalistische Richtigdenker und Richtigmacher aller Couleur sind das Ergebnis. Andere stellen sich der Komplexität des Lebens, einige verlieben sich gar in sie. Aber Komplexität ist kein Wohnort, sie ist nur ein Durchgangsstadium. Jenseits der Komplexität wartet die Heimat der göttlichen Einfachheit, die echter und tiefer ist als alles, was diese komplexe Welt bietet.
Wer in diese göttliche Einfachheit (in der Schrift auch “göttliche Ruhe” genannt) eingeht, wird allerdings oft missverstanden werden. Andere werden seine Simplexität als Simplizität deuten. Die Simpletons werden ihn für einen der ihren halten und meinen, sie verstünden ihn. Doch er spürt genau, dass sie ihn nicht verstehen. Man wird ihm vorwerfen, dass er die Dinge zu einfach sieht. Doch er weiß eins – er war blind, und jetzt sieht er.
Diese Bewegung von der Simplizität über die Komplexität zur Simplexität steht hinter dem johanneischen Modell geistlicher Entwicklung:
Ich habe euch Kindern geschrieben; denn ihr kennt den Vater. Ich habe euch Vätern geschrieben; denn ihr kennt den, der von Anfang an ist. Ich habe euch jungen Männern geschrieben; denn ihr seid stark und das Wort Gottes bleibt in euch, und ihr habt den Bösen überwunden. (1. Johannes 2,14)
Als erstes fällt auf, dass Johannes nicht chronologisch aufzählt. Den Kindern folgen nicht die (jungen) Erwachsenen, sondern die Väter (und Mütter). Sein Fokus ist auf die Lebensstadien der Einfachheit gerichtet (Kindheit und Vaterschaft). Die Phase der Komplexität ist das notwendige Intermezzo des Erwachsen-Werdens.
Kinder leben in der Simplizität. Sie kennen den Vater und sind sich seiner gewiss. Doch bald stellen sie fest, dass Gott nicht nur Vater, sondern ihnen in vielem ein Rätsel ist. Außerdem stellen sie fest, dass sie es nicht nur mit Gott zu tun haben, sondern mit einer Fülle von Gegebenheiten, die mit ihrer einfachen Gottesbeziehung nicht in Einklang zu bringen sind. Sie treten ein in die Komplexität, in der man stark werden und die Dinge aushalten muss. Diese Komplexität ist riskant. Sie kann zum Schwinden bringen, was man an Gott hatte oder zu haben meinte.
Man wird in der Komplexität Einsichten brauchen, die man weder aus sich selbst gewinnt noch aus den verwirrenden Verhältnissen ableiten kann. Johannes beschreibt die Notwendigkeit solcher Einsichten so: “Das Wort Gottes bleibt in euch.” Dies dürfte eine der spannendsten Erfahrungen des Christen auf dem Weg zur Simplexität sein: Wie kann man sich mit Gottes Wort der Komplexität des Lebens stellen, wenn doch in dieser Phase die Schrift selbst sich als wesentlich komplexer und verwirrender herausstellt, als man sich hatte vorstellen können.
Diese Komplexität ist ebenso chancenreich wie riskant. Wer sie “überwindet”, dem öffnet sich der Weg zur Simplexität. Die neue Einfachheit hat wieder mit dem Kennen zu tun. Väter “kennen den, der von Anfang ist”. Ihre Gottesbeziehung ist zurückgekehrt zur schlichten Vertrautheit, zur Ruhe, zur Einfachheit.
Für diese Einfachheit ist das Komplexe keine Bedrohung mehr. Für diese Einfachheit ist das Komplexe auch keine Versuchung mehr. Sie ist Gewissheit, Ruhe und Furchtlosigkeit inmitten von Chaos und Verwirrung.
In diesen Tagen ist viel von Dekonstruktion und Rekonstruktion die Rede. Dekonstruktion ist die notwendige Reaktion auf Simplizität, die es sich zu einfach macht, die Antworten von gestern tradiert und Realitäten von heute ignoriert. Dekonstruktion ist notwendig, aber sie ist ein Intermezzo. Dekonstrukteur ist nicht unsere Identität.
Wird der Dekonstruktion eine Rekonstruktion folgen, durch die wir “wissen” und “kennen” – auch wenn wir dieses Wissen und Kennen mehr in paradoxen als in logischen Sätzen ausdrücken können -, durch die wir “eingehen in die göttliche Ruhe” (Hebräer 4,3), durch die wir zu jenem Frieden gelangen, der nichts fürchtet, nichts simplifiziert, nichts verdrängt, nichts ignoriert, sondern einfach “höher ist als alle Vernunft” (Philipper 4,7)?
Gott ist nicht simpel. Aber Gott ist simplex.

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